Reiseszenen Texte

Reiseszenen – #1 Generation Sparschiene

LUISE, eine junge Reisende in einem schönen Sommerkleid
SCHALTERBEAMTIN der Österreichischen Bundesbahnen
SCHALTERBEAMTER der Österreichischen Bundesbahnen
FRAU SCHNITTER-MÖLL, Mittfünfzigerin aus gutbürgerlichem Kreise in einem blass-oliv-farbenen Leinenkostüm mit Perlenkette
HERR SCHNITTER, ihr Ehemann

LUISE betritt mit ihrem Handgepäckskoffer den Eingang zur ÖBB-First-Class-Lounge, weist beim SCHALTERBEAMTEN ihr digitales Ticket vor und begibt sich vor die elektronische Eingangstüre. Die Türe bleibt verschlossen.
Daneben sitzt eine SCHALTERBEAMTIN, die auf ihren Bildschirm blickt.

SCHALTERBEAMTIN: (am Telefon) …und da bin ich nicht zuständig. (legt den Hörer auf)

LUISE: (höflich) Verzeihung, würden Sie mir bitte die Türe öffnen?

SCHALTERBEAMTIN: (genervt, laut) Na ja… Ticket!? Ha!?

LUISE: (irritiert) Ich habe es gerade schon vorne…

SCHALTERBEAMTIN: (unterbricht) Ohne Ticket ka Tür. (Sie wendet sich wieder ihrem Bildschirm zu.)

LUISE: (Sie hält einen Moment lang verdutzt inne, dann mit sarkastischem Unterton:) Gut. Dann gehe ich zurück nach vorne, zeige mein Ticket noch einmal und dann komme ich gleich wieder.

LUISE geht zum ersten Schalter zurück und weist ihr digitales Ticket erneut vor.

SCHALTERBEAMTER: Na das Bildl nutzt mir nix. (Er tippt auf dem Display von LUISES Smartphone herum.)

LUISE: Ich habe Ihnen das Ticket ja gerade schon einmal gezeigt.

SCHALTERBEAMTER: In die Lounge dürfen s‘ nur mit Erste-Klasse-Ticket.

LUISE setzt zu einer Antwort an, entscheidet sich dann aber doch zu schweigen, zeigt dem Schalterbeamten die Stelle, an der „Erste Klasse“ vermerkt ist und wird durchgewunken.
Sie kehrt zurück zum zweiten Schalter und die Schalterbeamtin öffnet ihr die Türe.

SCHALTERBEAMTIN: Also. Geht doch.

LUISE setzt wieder zu einer Antwort an, entscheidet sich dann aber wieder zu schweigen, seufzt, lächelt die Schalterbeamtin an und betritt die Lounge.
Sie stellt ihren Koffer und ihre Handtasche an einem langen Bartisch ab und begibt sich ans Buffet, um sich einen Kaffee zu holen. Hinter ihrem Platz sitzen HERR SCHNITTER und FRAU SCHNITTER-MÖLL bei Orangensaft und Kuchen. HERR SCHNITTER liest Zeitung. FRAU SCHNITTER-MÖLL nippt an ihrem Saft und beobachtet die Gäste an den umliegenden Tischen. Ihr Blick fällt schließlich auf LUISE, die an der Kaffeemaschine hantiert. LUISE bemerkt, dass sie beobachtet wird, lässt sich jedoch nichts anmerken.

FRAU SCHNITTER-MÖLL: (zeigt auf LUISE, laut zu HERRN SCHNITTER:) Schau!

HERR SCHNITTER: (abwesend) Hm?

FRAU SCHNITTER-MÖLL: (laut) Das ist die „Generation Sparschiene“.

HERR SCHNITTER: (abwesend) Hm?

FRAU SCHNITTER-MÖLL: (laut) Die kommen jetzt alle in die Erste Klasse.

HERR SCHNITTER: (abwesend) Hm.

LUISE hebt ihre linke Augenbraue und wägt ab, ob ein spitzzüngiger Kommentar etwas Konstruktives zur Situation beitragen könnte. Sie befindet es schließlich für unwert und schmunzelt amüsiert. Sie ordnet die gerade fertig gewordene Melange, eine Flasche Mineralwasser und einen kleinen Teller mit einem Kipferl schön auf einem Tablett an und trägt es zu ihrem Platz zurück. Sie packt ihren Laptop aus und beginnt, eine Abhandlung über die sozialpolitisch geprägten Komplexe der aus Zeiten der Monarchie übrig gebliebenen Gesellschaftsschichten, deren Einfluss auf die Erwartungen an die Verhaltensweisen der Millenials und welche Rolle sie in der perspektivenabhängigen Definition des kapitalistischen Establishments spielen, sowie über die unbewusste sexistische, rassistische, altersbedingt und anders diskriminierende Einordnung von Passanten in Schubladen und inwieweit die Existenz letzterer auf Umfeld und Erziehung des Individuums zurückzuführen sind zu schreiben, um damit die Welt zu verändern.

Jegliche Ähnlichkeit der Charaktere mit realen Personen ist zufällig.

2 Kommentare zu “Reiseszenen – #1 Generation Sparschiene

  1. Na ja. Das ist normal. Passiert auf Flughäfen, in allen „Looooonschen“ und wo es sonst halt eingeschränkten Zutritt gibt. Erfahrene Reisende wissen das. Weniger Versierte ärgern sich.

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